Studien und Untersuchungen zur Industrie 4.0 im Mittelstand gibt es viele. Nur wenige beleuchten die konkreten Probleme in den Unternehmen und die praktische Umsetzbarkeit von Industrie 4.0-Lösungen. Prof. Dr. Ralf Oetinger vom Institut für Industrieinformatik und Betriebsorganisation hat deshalb in seinem Forschungssemester Potenziale der Digitalisierung in den Bereichen Produktion, Intralogistik und digitale Produkte praxisnah untersucht.
Für einige Einsatzfelder existieren bereits erprobte Lösungen, für andere stecken sie noch in den Kinderschuhen. Um die praktische Umsetzbarkeit abschätzen zu können, wurde der Reifegrad der technischen Anwendung anhand von Experteninterviews in der Region beurteilt. Ziel war es, ein fundiertes Meinungsbild einzelner Entscheidungsträger zu erhalten. Die Ergebnisse geben einen Einblick in die gelebte Praxis von Industrie 4.0.
Industrie 4.0 ist in der Breite angekommen
Die Zweifel über Sinn und Nutzen von Industrie 4.0 sind bei allen befragten Entscheidungsträgern der Einsicht gewichen, dass jetzt der Zeitpunkt zum Handeln gekommen sei. Nur über das Wie und Wo besteht weiterhin Unklarheit. Unternehmen, die bisher wenig bis keine Erfahrung mit der Digitalisierung haben, sind dem Thema gegenüber aufgeschlossen, aber immer noch zögerlich. Hier gilt es die Hürden der Digitalisierung mit pragmatischen und niederschwelligen Lösungen abzubauen.
Hemmnis | Handwerk | KMU | Mittelstand |
---|---|---|---|
Wirtschaftl. Nutzen unklar | trifft voll zu | trifft nicht zu | trifft nicht zu |
Allg. zögerliches Verhalten | trifft eher zu | sehr unterschiedlich | trifft nicht zu |
Fehlendes Vertrauen in Datensicherheit | trifft nicht zu | trifft nicht zu | teilweise |
Fehlende finanz. Ressourcen | sehr unterschiedlich | sehr unterschiedlich | teilweise |
Kundenbedarf spürbar | trifft nicht zu | trifft nicht zu | teilwesie |
Belegschaft offen für Digitalisierung | teilweise | trifft zu | trifft zu |
Fehlendes Wissen bzw. Fachkräftemangel | trifft voll zu | trifft voll zu | trifft eher zu |
Mitarbeiter/-innen als Mitwirkende
Die Mitarbeiter/-innen stellen von ihrer Haltung her kein Hemmnis für die Umsetzung dar. Ihnen wird durchweg Offenheit und Bereitschaft für die Digitalisierung bescheinigt. Allerdings bestehen Zweifel, ob das vorhandene Fachwissen ausreicht oder ob genügend Fachkräfte mit dem nötigen Knowhow verfügbar sind. Hilfreich sind deshalb vor allem Fördermittel für Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen im Rahmen der Digitalisierung.
Zugang zu schnellem Internet
Als generelles Hindernis von Industrie 4.0 werden Unterschiede im Netzausbau gesehen. In ländlichen Regionen sind noch immer Gewerbegebiete mit niedriger Bandbreite anzutreffen. Die schlechte Bandbreite blockiert vor allem dann, wenn Lösungen in entfernten Rechenzentren zum Einsatz kommen sollen (Stichwort „Cloud“).
Das Handwerk in der Cloud
Gerade im Handwerk wird immer wieder der Wunsch nach schnellen und einfachen Lösungen geäußert. Handwerksbetriebe sind aufgrund ihrer Größe und der fehlenden Infrastruktur geeignete Kandidaten für Cloud-Lösungen. Die Einfachheit von Cloud-Lösungen gelingt durch Standardisierung. Hier müssen die Betriebe im Gegenzug bereit sein, sich an vorgegebene IT-Prozesse zu halten und auf individuelle Anpassungen zu verzichten. Cloud-Lösungen sind darüber hinaus prädestiniert für den dezentralen und mobilen Einsatz, z.B. für Ferndiagnosen und Instandhaltung. Dienstleistungen, die das Handwerk „smart“ abbilden und dadurch einen hohen Kundennutzen bieten kann.
KMU bauen am Fundament ihrer Digitalisierung
Langsam verschwinden die Laufkarten und Handzettel aus der Produktion von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Excel-Tabellen und Insellösungen werden zunehmend durch integrierte IT-Systeme ersetzt. Die technischen und administrativen Unternehmensbereiche wachsen zusammen und erste Schritte in Richtung Industrie 4.0 sind erkennbar. Insofern liegt der Fokus auf der Einführung bzw. dem Ausbau von ERP- und MES-Funktionen. Allerdings fehlt es an Orientierung und klarer Strategie zum Aufbau von weitergehenden Industrie 4.0-Anwendungen. Vor diesem Hintergrund sind entsprechende Informations- und Weiterbildungsangebote zu begrüßen und erforderlich. Diese erreichen aber noch zu selten die Unternehmen, die aufgrund der guten Auftragslage mit dem Tagesgeschäft gut ausgelastet sind.
Erste Projekte im größeren Mittelstand
Je größer die Unternehmen im Mittelstand, desto größer der Grad der Digitalisierung. Das bestätigen auch die meisten Studien. Unternehmen der Automobilindustrie gehören dabei aufgrund des starken Wettbewerbs zu den Vorreitern. Industrie 4.0 findet man dort insbesondere im Bereich Instandhaltung (Condition Monitoring, Predictive Maintenance), wo mit Hilfe der Digitalisierung die Anlagenverfügbarkeit verbessert werden soll. Die Dokumentation des kompletten Produktionsprozesses mit allen Bearbeitungsparametern (Track & Trace) gewinnt zunehmend an Bedeutung. Ein solches Logbuch kann inzwischen mit Hilfe offener Standards (z.B. OPC-UA) einfacher realisiert werden, auch wenn die Produktion durch einen heterogenen Maschinenpark geprägt ist. Logbücher stellen ein Alleinstellungsmerkmal mit hohem Kundennutzen für OEMs dar.